Nuquí, Kolumbien: Hoffnung auf Asphalt – Fußball, Armut und der Kampf ums Morgen
Von Johannes Rinderspacher

Der Himmel über der Pazifikküste Kolumbiens ist schwer und dunkel, die feuchte Luft liegt
wie eine unsichtbare Decke über der Landschaft. Doch mitten auf der verlassenen
Landebahn fliegt ein Ball durch die Luft – und mit ihm ein Traum. Ein Junge, barfuß, in
zerrissenen Shorts, springt ihm entgegen, als wäre dieser Moment das Wichtigste auf der
Welt. Und vielleicht ist er das auch.
Willkommen in Nuquí, einer Stadt, die zwischen Natur, Armut und Unsicherheit gefangen
ist.
Hier, an der wilden Küste, wo die Regenwälder bis an den Ozean reichen, spielt sich das
Leben anders ab als in den Metropolen Kolumbiens. Nuquí gehört zu einer der
abgelegensten und ärmsten Regionen des Landes. Die Menschen kämpfen mit
wirtschaftlicher Unsicherheit, mit der Abwesenheit des Staates, mit bewaffneten Gruppen,
die hier ihre eigenen Gesetze schreiben. Doch zwischen all diesen Herausforderungen gibt
es etwas, das bleibt: Hoffnung – und die zeigt sich manchmal in einem Fußballspiel auf einer
stillgelegten Landebahn.
Eine Landebahn wird zum Spielfeld
Die Landebahn in Nuquí ist mehr als nur ein Ort, an dem Flugzeuge landen. Sie ist einer der
wenigen offenen Räume, die den Kindern hier zur Verfügung stehen. Wenn keine Maschinen
starten oder landen, gehört das breite Betonband ihnen.
Hier gibt es keine perfekt gestutzten Rasenplätze, keine weißen Linien, keine Tore mit
Netzen. Nur den Ball, die Leidenschaft und die unermüdliche Energie derer, die sich für
einen Moment frei fühlen wollen.
Denn Fußball ist nicht nur ein Spiel – er ist eine Flucht. Für einen kurzen Moment zählt
nicht, dass die meisten dieser Kinder in extremer Armut leben. Dass ihre Eltern ums
Überleben kämpfen, dass die Zukunft ungewiss ist. Hier auf der Landebahn sind sie nicht
arm, nicht benachteiligt – sie sind Spieler, Träumer, Helden in ihrem eigenen kleinen Finale.
Schönheit zwischen Armut, Kriminalität und Klimawandel Nuquí ist eine Stadt voller Widersprüche. Einerseits ist da die atemberaubende Natur:
Regenwälder, unberührte Strände, ein Ozean, der das Leben bestimmt. Andererseits sind dadie Probleme, die kaum zu übersehen sind.
• Armut: Die Region Chocó, zu der Nuquí gehört, ist eine der ärmsten Kolumbiens. Es gibt kaum wirtschaftliche Möglichkeiten, Infrastrukturprojekte erreichen den Ort selten. • Kriminalität: Der illegale Drogenhandel, Schmuggel und bewaffnete Gruppen machen das Leben hier unsicher. Viele Familien leben in einem täglichen Balanceakt zwischen
Anpassung und Überleben.
• Klimakrise: Der steigende Meeresspiegel bedroht die Küstenregionen. Immer mehr
Menschen müssen umziehen, weil das Wasser ihre Häuser verschlingt.
Und doch gibt es Schönheit. Sie liegt nicht nur in der Landschaft, sondern auch in den
kleinen Dingen: In den Momenten des Glücks, die sich die Menschen selbst schaffen. In
einem Fußballspiel, das nichts kostet außer Energie und Begeisterung.
Was bleibt? Der unaufhaltsame Traum
Vielleicht wird dieser Junge auf dem Foto es nie in eine große Liga schaffen. Vielleicht wird
er niemals ein Stadion betreten, in dem Tausende jubeln. Doch in diesem Moment spielt das
keine Rolle.
Denn was er auf dieser Landebahn erlebt, ist mehr als nur ein Spiel – es ist eine Lektion
über das Leben in Nuquí. Über Widerstandsfähigkeit, über Träume, die in den
unwahrscheinlichsten Orten entstehen. Über den Kampf gegen ein Schicksal, das für viele
hier bereits vorbestimmt scheint.
Es gibt viele Geschichten in Nuquí, viele Probleme, viele Herausforderungen. Doch es gibt
auch Momente wie diesen – Momente, die zeigen, dass Hoffnung auch dort existiert, wo sie
am wenigsten erwartet wird.
Und solange ein Ball über diese Landebahn fliegt, solange Kinder hier spielen, solange sie
für einen Moment vergessen, was um sie herum passiert – solange gibt es in Nuquí eine
Zukunft.